[1] Kard. Thomas Cajetan berichtet Kf. Friedrich, dass Martin Luther [zum Verhör nach Augsburg] mit einem Schreiben des Kf. gekommen ist. Auf Bitten Luthers wurde diesem durch Förderung Kf. Friedrichs und mit Wissen des Kard. von den ksl. Räten freies Geleit zugesichert. Allerdings wünschte Cajetan nicht, dass sein Name mit dem Geleit in Verbindung gebracht wird, zumal er sich wunderte, da ein Geleitsbrief das fehlende Vertrauen des Kf. in seine Person zum Ausdruck bringt. [2] Luther erschien [am 12. Oktober] vor Cajetan und entschuldigte sich wegen des Gesuchs nach freiem Geleit, das er aus Furcht vor Anfeindungen erbeten hatte. Er kam, um die Position Cajetans zu hören und sich ihr anzuschließen. Cajetan teilte Luther daraufhin väterlich mit, dass er auf Grundlage der Heiligen Schrift und des Kirchenrechts verhört wird, um den Fall nach Vorgabe Papst Leos X. beizulegen. Zudem ermahnte Cajetan ihn, dass seine Disputationen und Sermone, vor allem seine Ablasslehre, der apostolischen Lehre entgegen sind. Cajetan legte Luther die Extravagante Papst Clemens VI. vor. Darüber hinaus informierte er ihn durch andere Belege, dass seine Lehre der Heiligen Schrift und der Lehre der Kirche zuwider ist. Luther erbat sich einen Tag Bedenkzeit. Unter Ermahnungen entließ ihn Cajetan. [3] Am nächsten Tag [13. Oktober] erschien Luther in Begleitung des Generalvikars der deutschen Observanten-Kongregation der Augustinereremiten [Johann von Staupitz] und anderer Personen. Statt eines Widerrufs, den Cajetan erwartete, protestierte Luther in Gegenwart eines Notars. Cajetan widersprach sehr freundlich diesem Vorgehen, weil sich Luther auf einen solchen Prozess nicht einlassen sollte. Darauf wünschte Luther, sich schriftlich verantworten zu dürfen. Cajetan antwortete Luther, dass er nicht mit ihm streiten will. Aus Gefallen gegenüber Kf. Friedrich hörte er ihn nur an, um ihn zu ermahnen, zu belehren und mit Papst Leo X. zu versöhnen. Auf nochmaliges Bitten Luthers gestand ihm Cajetan zu, sich schriftlich äußern zu dürfen. Allerdings sei dies nicht im juristischen Sinne gemeint. [4] Als Luther [am 14. Oktober] wiederkam, überreichte er Cajetan ein langes Schriftstück, in dem er die Geltung der Extravagante bestritt und den Papst angriff. Er führte darin zahlreiche biblische Belege zur Sakramentenlehre an, die nicht zusammen passten und die er offenbar nicht verstanden hatte. Cajetan wies die Einwände zurück und ermahnte Luther im Hinblick auf dessen Seelenheil, keine neue Lehre einzuführen. [5] Kurz darauf kam der Generalvikar [Johann von Staupitz], der mit Cajetan in Gegenwart von Urbanus [de Serralonga] und eines Magisters der Theologie des Augustinereremitenordens [Wenzeslaus Linck], einem Anhänger Luthers, mehrere Stunden darüber verhandelte, wie der Fall ohne Schaden für den Heiligen Stuhl oder Luther beigelegt werden kann. Obwohl Cajetan eine Lösung für möglich hielt, reiste der Generalvikar ohne Abschied [am 17. Oktober] ab. Luther verließ mit seinem Anhang ebenfalls [am 20. Oktober] die Stadt. Cajetan, der sich betrogen fühlt, erhielt noch ein Schreiben Luthers, in dem dieser vorgab, um Gnade zu bitten, aber nicht widerrief. [6] Cajetan bekennt gegenüber dem Kf., dass er über dieses Vorgehen nicht nur verwundert, sondern auch erschrocken ist, weil er nicht weiß, auf welchen Beistand Luther noch hofft. Zusammenfassend hält Cajetan fest, dass sich Luthers Thesen und Schriften gegen die Lehre der Kirche richten. Weiterhin bittet Cajetan den Kf. im Hinblick auf dessen Ehre und Gewissen eindringlich, Luther entweder nach Rom zu schicken oder des Landes zu verweisen. Schließlich erinnert Cajetan daran, dass der Fall nicht lange aufgeschoben werden kann, da die Angelegenheit in Rom verfolgt wird. Cajetan hat Papst [Leo X.] geschrieben. [7] Cajetan ermahnt den Kf., sich nicht von Leuten betrügen zu lassen, die vorgeben, Luthers Lehre enthalte nichts Böses. Kf. Friedrich soll weder seiner noch der Ehre seiner Vorfahren einen Schaden zufügen. Der Kard. erinnert an [Mt 7,16a].
Zitierempfehlung:
Nr. 779. In: Briefe und Akten zur Kirchenpolitik Friedrichs des Weisen und Johanns des Beständigen 1513 bis 1532. Reformation im Kontext frühneuzeitlicher Staatswerdung. Online-Edition: https://bakfj.saw-leipzig.de/print/779 [Datum des Zugriffs: 02.08.2025]
Lizenz:
Creative Commons, Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International (CC BY-NC-SA 4.0)