[1] Erasmus von Rotterdam teilt Kf. Friedrich mit, dass er ihm als Förderer der Wissenschaften seine Ausgabe antiker Kaiserbiographien gewidmet hat. [2] Die kürzlich erschienenen Schriften Martin Luthers und die Angriffe Kard. [Thomas] Cajetans haben den Feinden der Wissenschaft Gelegenheit gegeben, Luther als Ketzer und Antichrist zu verunglimpfen. Dabei werden Luther auch seine Kenntnis der drei Sprachen [Latein, Griechisch und Hebräisch], seine Beredsamkeit und sein Interesse an den schönen Wissenschaften vorgeworfen. [3] Da er Luther nicht persönlich kennt, kann Erasmus nicht in den Verdacht geraten, diesen als Freund zu begünstigen. Luthers Schriften kann Erasmus nicht beurteilen, weil er sie nur teilweise kennt. Aber diejenigen, die Luther kennen, schätzen ihn, deshalb verurteilt Erasmus die, welche ihn verunglimpfen, ohne etwas von Luther zu kennen. [4] Obwohl Luther sich mit seinen Thesen einem öffentlichen Urteil unterworfen hat, haben seine Gegner ihn weder belehrt noch widerlegt, sondern bezeichnen ihn grundlos als Ketzer. Doch nicht jeder Irrtum ist Ketzerei und nicht alles ist ketzerisch, das jemandem nicht gefällt. Erasmus beklagt, dass einigen theologischen Lehrern vorbehaltlos gefolgt wird, während andere verurteilt werden, wodurch ein freier und gerechter Meinungsaustausch verhindert wird. [5] Wer ein Christi würdiges Leben führt, sollte nicht vorschnell als Ketzer bezeichnet werden. Statt zu belehren, richten Luthers Gegner Zerstörung an und stellen neue Gesetze auf, die es ihnen ermöglichen, jeden als Ketzer zu verurteilen, der ihnen nicht passt. [6] Dies alles schreibt Erasmus deshalb so freimütig, weil ihn die Luthersache nicht persönlich angeht. Da der Kf. die Aufgabe hat, die christliche Religion zu schützen, darf er nicht zulassen, dass unter seiner Herrschaft ein Unschuldiger der Gottlosigkeit preisgegeben wird. Dies will auch Papst Leo X. nicht. Wie man in Rom über Luther denkt, weiß Erasmus nicht, aber in seinem Umfeld werden Luthers Bücher von den Besten fleißig gelesen.
Zitierempfehlung:
Nr. 864. In: Briefe und Akten zur Kirchenpolitik Friedrichs des Weisen und Johanns des Beständigen 1513 bis 1532. Reformation im Kontext frühneuzeitlicher Staatswerdung. Online-Edition: https://bakfj.saw-leipzig.de/print/864 [Datum des Zugriffs: 05.07.2025]
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